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Beitrag vom 23.11.2005
Meshulash vom 28.11. bis 11.12.2005
Norma Drimmer
Mit der Ausstellung "Nachtschatten und andere Gewächse" setzt sich die KünstlerInnengruppe mit dem Ideengut der "Paradiessehnsucht" der Zwanziger Jahre und der Gegenwart auseinander.
Die KünstlerInnengruppe Meshulash
Die Gruppe Meshulash ("Dreieck") besteht mehrheitlich aus jüdischen (Wahl-) BerlinerInnen, die aus Deutschland und aus verschiedenen ost- und westeuropäischen Ländern, aus Nordamerika und Israel stammen. Meshulash bezieht seit 1991 künstlerisch und politisch Stellung. Die Projekte von Meshulash sind zukunftsorientiert, ohne falsches Pathos oder erhobenen Zeigefinger. Die KünstlerInnen möchten der Vielfalt und Heterogenität jüdischen Lebens, wie sie auch innerhalb der Gruppe existiert, Ausdruck verleihen und ein offenes und facettenreiches Verständnis vom Jüdischsein nach außen tragen.
Ein Festival über die Kultur des Jüdischen Berlins der Zwanziger Jahre darf nicht nostalgischer Rückblick sein. Vergangenheit ist für die Gegenwart von Interesse, wenn sie Zeitbezüge aufzeigt.
Seit Beginn der Jahrhundertwende und bis in die zwanziger Jahre veränderte übergreifend in Europa der rasante politische und gesellschaftliche Umbruch die existentiellen Erfahrungen der Menschen. Die Geschwindigkeit durch die neuen Maschinen und die Erfindung der Photographie, revolutionierte die Sehgewohnheiten und die Malerei, die bildenden Künste und die Architektur. Wie in der Kunst die Rückbesinnung und Weiterführung von Traditionen unverbunden neben radikaler Experimentalkunst stehen, so fühlen sich auch die Menschen im Chaos von Massenarbeitslosigkeit und Reparationsforderungen nach dem ersten Weltkrieg verloren und von wirtschaftlicher und politischer Macht und den Strukturen neuer "globaler" Wirtschaftsunternehmen, aufgerieben.
Europa ist heute im Zug der europäischen Gemeinschaften realer geworden, ruft aber im Gegenzug dennoch viele Ängste hervor. Die industrielle Revolution hat ihr Gegenstück durch die Revolution des Internets und seiner neuen Form der Kommunikation , sowie eine Ablösung von Nation und Arbeitsplatz und sozialer Sicherheit.
In den zwanziger Jahren war marxistische Ideologie die Suche nach dem „sozialen“ Paradies, ein Angebot von "Erlösung" aus der neuen gesellschaftlichen Komplexität. Die Suche nach dem "Paradies" enthält heute, wie in den zwanziger Jahren, die Sehnsucht nach einem menschlichen Leben, die Umstände werden als "entfremdend", als nicht für Menschen geeignet, empfunden. Diese Sehnsucht führte damals in pervertierter Form zum Nationalsozialismus, zur unmenschlichsten Epoche in der deutschen und der europäischen Geschichte,
Die Gruppe Meshulash arbeitet im Kontext von Zeitbezügen und gesellschaftlichen Erfahrungen. Sie setzt sich in der Ausstellung "Nachtschatten und andere Gewächse" mit dem Ideengut dieser "Paradiessehnsucht" der Zwanziger Jahre und der Gegenwart auseinander. Meshulash ist nicht teil der Jüdischen Kulturtage 2005 der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sie wird auch nicht von ihr gefördert, außer, dass die Gemeinde den Ort im Centrum Judaicum zur Verfügung gestellt hat.
Meshulash sind:
Anna Adam
Faites vos jeux 2005
Das Klischee der goldenen 20er Jahre lässt uns an rauschende Feste denken, an Frauen mit kurzem Haar in Frack und Zylinder, die endlich rauchen und sogar wählen dürfen. Auf der anderen Seite aber stehen Prostitution, Armut, Verzweiflung und Kriminalität...der perfekte Nährboden für die braunen Rattenfänger. In ihrer Installation kommentiert Anna Adam das Klischee und zitiert gleichzeitig künstlerische Ausdrucksformen der modernen Bühnenbildtechnik der 20er Jahre
Ella Adamova
Paradies 2005
40x50x40
Keramik
2005
Wenn jemand ganz tief in paradiesischen Zuständen steckt, dann droht ein Tsunami ihn zu überrollen.
Norma Drimmer
Mit starker Hand 2005
60X120
C-Print auf Leinwand
Mique Israel und seine Synagoge wurde in den 20iger Jahren gegründet, ein Ort, der den nach Ende der 20iger Jahre aus Deutschland Flüchtenden Zuflucht bieten konnte. Yad Chasaka ist ein religiöser Begriff für die Hand Gottes, die mit dem ewigen Licht verbunden ist.
Die Photo Collage stellt Innen- und Außenansicht neu zusammen.
Norma Drimmer
Das Blatt 2005
Installation mit Text
Die Arbeit handelt unter Anderem vom "Wort, vom Buch und anderen Vorstellungen".
Julia Erzberger
Nachtrag #01 - Plastilin, 2005
Julia stellt den Grabstein ihrer Großmutter Mária Berlovitz nach, um darauf Kopien von Originalsteinen aus Plastilin zu legen. Die Arbeit thematisiert die verborgene Tradition, die verloren zu gehen droht.
Ronnie Golz
Das Licht des Deutschen Judentums ist erloschen
Leuchtkasten
Aus dem Plakat des Films Metropolis vom jüdischen Filmregisseur Fritz Lang ist eine Menora (Leuchter) mit berühmten jüdischen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens der 20er Jahre entstanden. Sie brennt nicht denn das Licht des ehemaligen deutschen Judentums ist mit dem Holocaust erloschen.
Ronnie Golz
Schatten und andere jüdische Gewächse
Installation
Aus einem Weihnachtsleuchter von ALDI ist eine Menora mit dem Gegensatzpaar der 20er Jahre von Ostjudentum und Deutschjudentum geworden. Die hintere Reihe steht für das ehemalige Scheunenviertel, während im Vordergrund der Kurfürstendamm und die Symbole des
deutschen Reformjudentums zu sehen sind. Die Schattenbilder zeigen den Künstler und die Beine der Künstlergruppe.
Átáv Hámos
Kunst des Unterlassens
21 x 30 cm,
Filzstift, Fotokopiertinte auf Papier
2004
Átáv geht hier indirekt der Frage nach, warum Superman es unterlassen hat, am 11. September 2001 seinen Röntgenblick und sein Supergehör zu benutzen um die anbahnende Katastrophe am WTC zu verhindern.
Glancie Házmester
Der Anzug zum Paradies
46 x 64 cm,
C-Print 2003
Glancie zeigt einen lachenden Saudi oder Pakistani vor seinem Geschäft in NYC mit seiner "The Star Spangled Banner" Krawatte in Vordergrund, elegant herunterfallend.
Glancie Házmester
Der Einzug ins Paradies
46 x 64 cm,
schwarze Fotokopiertinte auf weißes Papier
2005
Glancie´s Zeichnung zeigt ein Flugzeug, das gerade auf radikal gefährliche Weise auf New Yorker Wolkenkratzer zustürzt.
Gabriel Heimler
Die Ufer Edens 2005
Acryl auf Leinwandrolle
222 x 98
Die Arbeit bezieht sich auf den Zeitraum zwischen den 20er Jahren bis zur Gegenwart. Die Form ist eine Anspielung an die Torarollen. Vier rot fließende Kanäle, die vier Flüsse Edens, erinnern an den rot gewordenen Nil im Andenken an die 10 Plagen. Die Frau in der unteren Bildpartie zitiert die modischen Kurzhaarschnitte der "Neuen Frauen" der 20er Jahre. Auf der Nächsthöheren, zeitlich parallelen Stufe erinnert die tätowierte Frau an Bilder von George Grosz. Die dritte Ebene bezieht sich auf das Kabarett der 20er Jahre und stellt Paradiesfrüchte und Schlange einander gegenüber. Das nächste Ufer besteht aus einer braunen Fläche und athletisch-sportlichen Tänzerinnen und einer Stehlampe aus tätowierter Menschenhaut. Über der nächsten- leeren- Ebene fliegt ein (jüdischer) Superman, hinter dem der neue Reichstag zu sehen ist.
Salean Maiwald
Collage auf Leinwand 2005
Palmen Albtraum
Palmen und Garten stehen als Symbol für das Paradies, das in der vorliegenden Arbeit mit Protagonisten der deutsch jüdischen Kultur und Kunstgeschichte, insbesondere der 20er Jahre bevölkert wird.
Tine Tillmann
Waldverlichtung
45 x 58 cm,
Silbergelatineprint und Garn,
2004
Tine´s Waldverlichtung erinnert an den verlassenen eingezäunten jüdischen Friedhof aus ihrer nord-ost-ungarischen Heimat.
Sigurd Wendland
German Dance 2005
Öl auf Leinwand
100x150
German Dance ist der internationale Begriff für den expressionistischen Ausdruckstanz der zwanziger Jahre. Die Arbeit ist in drei Ebenen unterteilt. Im Hintergrund steht der Einsteinturm von Caputh der in den 20er Jahren für Experimente zum Beleg der Relativitätstheorie gebaut wurde. In der Mittelebene link sind ein Schwarzhändler(Weltwirtschaftskrise und Inflation) und eine Prostituierte in Uniform (die Rolle des Militärs in jedem Staat). Auf der rechten Seite stehen ein Transvestit mit Hitlerbart (Politkabarett) und ein Boxer (Ring und Boxvereine). Im Vordergrund ist eine blonde Tänzerin (eine Pose der Gret Palucca und Nackttanz, Josephine Baker)
Und diesmal als Gäste dabei:
Ella Adamova, Julia Erzberger, Átav Hámos, Glanzie Házmester, Tine Tillmann Norma Drimmer, Jalda Rebling, Gesa Hausman.
Ausstellungsdauer: Montag, 28. November bis Sonntag, 11. Dezember 2005
Vernissage: Sonntag, den 27. November 2005 ab 18h
Im Centrum Judaicum, Mifgash Raum
Oranienburgerstraße 28
10117 Berlin
Öffnungszeiten: So–Do 10–18 Uhr, Fr 10–14 Uhr